Steuerberater zu Mietendeckel-Nachzahlungen:
“Argumente sind konstruiert und ziemlich weit hergeholt”

Hand mit Geldscheinen
Demütiger Genosse beim Überreichen der Nachzahlung (Foto: Christian Dubovan on Unsplash)

Viele Genossenschaften, die wegen hoher Nutzungsentgelte von den Regelungen des Mietendeckel-Gesetzes betroffen waren, fordern die entgangenen Summen nun nach dem Scheitern des Gesetzes vor dem BVerfG nach. Als Begründung verweisen die Vorstände u.a. auf das Steuerrecht. Wir haben dem Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Sven Schneider (Name geändert) verschiedene Schreiben von Genossenschaftsvorständen zur Prüfung vorgelegt. Sein Fazit:  “Die Argumente erscheinen konstruiert nach dem Motto: Wir wollen auf jeden Fall nachfordern – wie können wir das begründen?”

Grundsätzlich, so Schneider, argumentieren die Vorstände auf zwei Ebenen: mit dem Genossenschaftsrecht und mit dem Steuerrecht.

Genossenschaftsrecht: Einige Vorstände interpretieren §1 Abs. 1 des Genossenschaftsgesetzes (Zweck der Genossenschaft ist es, „den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern.“) dahingehend, dass ein Verzicht auf Rückforderungen eine dem Unternehmen schadende Entnahme von Kapital aus dem Geschäftsvermögen beinhaltet. Dies verletze auch den genossenschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Diese Argumentation hält Schneider für weit hergeholt und konstruiert. Jede Kulanz- oder Rabattregelung für bestimmte Gruppen (z.B. die Seniorenregelung bei 1892) wäre dann ein illegitimer Eingriff. Man könne, so Schneider, auch umgekehrt argumentieren, dass nämlich der genossenschaftliche Solidaritätsgedanke nahelege, Mitglieder, die sowieso schon hohe Nutzungsentgelte zahlen, hier nicht nachträglich zur Kasse zu bitten. Im Übrigen könne auch infrage gestellt werden, ob es nicht gerade ein Ausdruck des Solidaritätsgedankens sei, wenn diejenigen Mieter:innen, die nach dem alten Mietendeckel-Gesetz überhöhte Mieten zahlen müssen, von diesen zumindest für den Zeitraum des bisher angenommenen Inkraftseins des Gesetzes entlastet werden – von den genossenschaftlichen Mieter:innen, die nicht von dem im Nachhinein für ungültig erklärten Gesetz betroffen waren, werden folgelogisch ja gar nicht erst überhöhte Mieten gefordert. Außerdem könnten sich Vorstände, wenn sie unsicher sind, sehr schnell auf die sichere Seite bringen: Sie legen die Entscheidung der Mitgliederversammlung zur Beschlussfassung vor.

Steuerrecht: “Steuerrechtlich würde eine verdeckte Gewinnausschüttung entstehen, die eine darüberhinausgehende Steuerbelastung auslöst.” – so begründet z.B. die Freie Scholle die Nachforderung. Auch diese Aussage steht, so Schneider, auf sehr schwachen Beinen. Es gebe hier keine eindeutige Rechtslage und bisher auch keine gerichtlichen Entscheidungen. Für die Annahme von verdeckten Gewinnausschüttungen müsste der Verzicht auf Nachforderungen lediglich einzelnen genossenschaftlichen Mieter:innen gegenüber ausgesprochen werden, dies ist offensichtlich bei der Vielzahl der Betroffenen nicht der Fall. Im Übrigen reicht es bei Leistungsbeziehungen zwischen Genossenschaft und Genoss:innen regelmäßig aus, dass die Leistungsbeziehungen kostendeckend sind. (Dies dürfte auch im Fall der zuletzt unter dem nun unwirksamen Mietendeckel-Gesetz reduzierten Mieten wohl noch der Fall sein, da andernfalls die übrigen, nicht betroffenen Mieter:innen ja ebenfalls keine kostendeckenden Mieten zahlen dürften.) Genossenschaften könnten das Problem jedoch leicht lösen, indem sie vorab eine Anfrage beim zuständigen Finanzamt stellen, ob bei einem Verzicht auf Nachzahlung Kapitalertragssteuer gezahlt werden muss. (Diese Anfrage müssten übrigens auch betroffene Genossenschaftsmitglieder stellen dürfen, da diese als Steuerpflichtige für die Versteuerung zuständig sind!). Selbst wenn das Finanzamt den Verzicht grundsätzlich als Gewinnausschüttung ansehen würde, wäre immer noch eine Nachverhandlung über die Höhe denkbar. Bei der Vielzahl der betroffenen Fälle und angesichts der unklaren Rechtslage sei es wahrscheinlich, so der Steuerexperte, dass das Finanzamt im Rahmen einer “tatsächlichen Verständigung” nicht den gesamten Verzicht auf die Nachzahlungen als verdeckte Gewinnausschüttung qualifiziert.

Schneider zusammenfassend: “Sowohl die genossenschaftsrechtlichen wie auch die steuerrechtlichen Argumente erscheinen konstruiert nach dem Motto: Wir wollen auf jeden Fall nachfordern – wie können wir das begründen? Ginge man offen an die Frage heran, gelänge man zu anderen, solidarischeren Ergebnissen. Selbst bei dem unwahrscheinlichen Fall, dass Steuernachzahlungen fällig wären, gibt es eine Lösung: Die Vorstände lassen sich die Folgekosten durch die Generalversammlung genehmigen.

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