Genossenschaftsgeschichte: Als Gewerkschaften und Genossenschaften gemeinsam das Neue Berlin bauten

Proteste nach der Privatisierung 1999

 

Am 24. April 1924 schlossen sich Gewerkschaften, die genossenschaftlichen Bauhütten und die drei (heute noch existierenden) Genossenschaften Paradies, Freie Scholle und Ideal zusammen und gründeten die „Gemeinnützige Heimstätten, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft“, kurz GEHAG. In Zeiten extremer Wohnungsnot baute sie preiswerte und lichtdurchflutete Siedlungen wie die Neuköllner Hufeisensiedlung oder die Pankower Carl-Legien-Siedlung, die heute als Meisterwerke des Neuen Bauens gelten und Weltkulturerbe sind. Was machte den Erfolg der GEHAG aus? Wie wohnte es sich dort? Und was kann die Wohnungspolitik heute aus den Erfahrungen der GEHAG lernen. Dazu hat das „nd“ eine kleine Serie veröffentlicht:
Teil 1: Aufstieg und Untergang der GEHAG: hier
Teil 2: Als die Carl-Legien-Siedlung verscherbelt wurde: hier
Teil 3: Das Modell GEHAG und die heutige Wohnungskrise: hier

Genossenschaftsgründungen: Gemeinwohl auf Abwegen

Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass gemeinwohlorientiertes Verhalten auf dem Wohnungsmarkt staatlich gefördert werden soll. Aber wo fängt das “Gemeinwohl” an, wo hört es auf? Das ist eine umkämpfte Grauzone, denn alle möchten ein Stück vom Förder-Kuchen. Vor allem, wenn, wie von der schwarz-roten Koalition geplant,  das begehrte Spekulationsgut Boden wieder zum Verkauf steht – an Genossenschaften, da diese gemeinwohlorientiert seien. Merkwürdige Genossenschaftsmodelle wie „Job und Wohnen“ oder aktuell die AIV-Genossenschaft haben mit den Zielen traditioneller Genossenschaften nur noch wenig zu tun, sie sind eher eine Art Investmentfond, geboren aus der Gier nach dem knappen Gut Boden. Kann diese Entwicklung der Genossenschaftsbewegung egal sein? Ein Kommentar (mehr …)

Zum 8. März: Hermann Schulze-Delitzsch kennt jede:r, aber Helma Steinbach?

Foto: Von unbekannt – Hamburger Genossenschaftsmuseum, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=9284091

Obwohl sich die Stellung der Frauen im Genossenschaftsgesetz vom 1. Mai 1889 nur wenig von dem der Männer unterschied, blieb die Genossenschaftsbewegung ein von Männern dominierter Bereich. Eine der Frauen, die sich im beginnenden 20. Jahrhundert gewerkschaftlich und politisch engagierte, war Helma Steinbach (1847 – 1918). Mit ihren Erfahrungen als Schneiderin und Plätterin setzte sie sich für die Situation der Arbeiterinnen ein, gründete eine Gewerkschaft der Plätterinnen und organisierte in Hamburg den ersten Streik der Wäscherinnen.

Sie gehörte als einzige Frau zu den Gründungsmitgliedern des Konsum-, Bau- und Sparvereins „Produktion“ von 1899. Schon bald wurde die „PRO“ zu einem international bewunderten zukunftsweisenden Unternehmen, das seine Mitglieder mit Lebensmitteln versorgte, Wohnungen baute und gute Arbeitsbedingungen und Löhne für die Beschäftigten garantierte.
Helma Steinbach gilt heute als Pionierin der Gewerkschaften und Genossenschaften, auch weil sie auf Kongressen mit begeisternden und „gefürchteten“ Reden auftrat und Kritik an ungerechten Strukturen in den Genossenschaften nicht scheute.

Heute heißen sie „Weiberwirtschaft“ oder „Milchmädchen“: Genossenschaften, die in Ost und West von Frauen gegründet und/oder geführt werden, stellt Barbara Bollwahn in ihrem Buch „Fauengenossenschaften – Genossenschaftsfrauen“ vor.
https://www.zdk-hamburg.de/blog/2008/01/frauengenossenschaften-genossenschaftsfrauen/

Am 17. März: Diskussion über Genossenschaften und Gemeinwohl

„Potenzial der Genossenschaftsidee: Zwischen gemeinsamem Wirtschaften und Gemeinwohlorientierung“ ist das Thema einer Diskussion am 17. März im werkraum des Genossenschaftsforums in Berlin-Schöneberg. Die Veranstaltung ist Teil einer Gesprächsreihe über Genossenschaften und Nachhaltigkeit im Rahmen der Ausstellung „Faktor Wohnen“, die bis zum 24. März in den Räumen des werkraums zu besuchen ist.

(mehr …)

Buffets statt Mitbestimmung. Die Berliner Genossenschaften sollen größeren Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung leisten

Von Yannic Walther, nd

Es gibt nicht die einen Genossenschaften. Unter dieser Rechtsform versammelt sich eine Bandbreite an kleinen, großen, jungen und alten, mehr oder weniger gemeinwohlorientierten Beispielen. Dennoch: Der soziale Beitrag, den Genossenschaften gegenwärtig zur sozialen Wohnraumversorgung leisten, könnte deutlich größer sein, ist man sich beim alternativen Genossenschaftstag einig. »Viele Genossenschaften sind Kinder der Not, heute sind sie saturiert und lassen die Not ein bisschen an sich vorbeiziehen«, erklärt Jan Kuhnert, Vorstandsvorsitzender des Bundesvereins zur Förderung des Genossenschaftsgedankens, am Freitag bei einer Podiumsdiskussion im Gebäude der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Ostbahnhof.

Das Problem liegt dabei nicht im Bestand.

Circa 190 000 Genossenschaftswohnungen gibt es derzeit in Berlin, damit stellen sie über elf Prozent des Wohnungsbestandes in der Hauptstadt. In ihren Beständen liegen die Mieten im Schnitt sowohl unter denen privatwirtschaftlicher als auch landeseigener Wohnungsunternehmen. Dadurch, dass sie größtenteils auf Mieterhöhungen verzichten, sorgen sie für Stabilität auf dem Berliner Wohnungsmarkt und dämpfen den Anstieg der ortsüblichen Vergleichsmiete.

Doch beim Neubau bezahlbarer Wohnungen könnten Genossenschaften einen größeren Beitrag leisten, meint der Stadtsoziologe Andrej Holm. Die Neubaumieten liegen auch bei Genossenschaften in der Regel über zehn Euro je Quadratmeter. Diese werden projektbezogen kalkuliert. Dabei könnten die Überschüsse, die sich vor allem in den altgedienten Genossenschaften über viele Jahre angehäuft haben, genutzt werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, findet Holm.

Dem entgegen stehen die auch am Freitag viel besprochenen »Spardoseneffekte«: Man kümmert sich vor allem um die Interessen der bestehenden Genossenschaftsmitglieder. Das gilt für den zögerlichen Neubau, von denen die Mitglieder im Bestand erst einmal wenig haben. Ebenso gilt es für die Vergabe frei werdender Wohnungen vor allem an Verwandte und nach dem Kriterium, wer am längsten auf der Warteliste steht. Alternativ denkbar wäre hier eine Sozialquote für jene Haushalte, die sich am privaten Markt nicht mit angemessenem Wohnraum versorgen können, hieß es am Freitag.

Das Problem sei aber auch, dass die Vorstände von Genossenschaften, die teils aus der privaten Wohnungswirtschaft kommen, diese mitunter als normale Wohnungsunternehmen am Markt verstehen. Zwar könne man die Vorstände nicht ganz aus ihrer verantwortlichen Rolle entlassen, wenn am Ende die Zahlen stimmen müssen, meint Jan Kuhnert. Doch unter anderem bei der Frage, nach welchen Regeln wer eine Genossenschaftswohnung bekommt, sollten die Genossenschaftsmitglieder basisdemokratischer entscheiden können, so Kuhnert. Bisher ist die demokratische Realität oft vom Abnicken auf der jährlichen Versammlung geprägt. »Buffets ersetzen die Mitbestimmung«, beschreibt es Ralf Hoffrogge von der Initiative Genossenschafter*innen.

Ein Gründungsimpuls der Initiative, die sich vorgenommen hat, Genossenschaften untereinander und diese mit den stadtpolitischen Bewegungen zu vernetzen, war auch die ablehnende Haltung, die einige Genossenschaften gegenüber dem Berliner Mietendeckel einnahmen. Vier klagten sogar dagegen. Ebenso beteiligten sich Genossenschaften an einer Kampagne gegen das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co enteignen und warben bei ihren Mitgliedern für ein Nein zum Volksentscheid. Auch in der Debatte um die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit nehmen Genossenschaften bisher eine kritische Haltung ein.

»Was stadtpolitisch diskutiert wird, kommt in den alten Strukturen nicht an«, sagte Juliane Lang, Aufsichtsrätin bei der Treptower Park eG sowie der Eine für Alle eG, die als junge Dachgenossenschaft bezahlbare Gewerberäume sichern will. Dennoch ändere sich gerade vor allem bei der Zusammensetzung der Mitglieder etwas, während die Strukturen noch sehr starr bleiben würden, erzählt sie.

»Eine Strukturveränderung von innen reicht nicht aus, es müssen sich auch die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen verändern«, meint Andrej Holm. Er hofft darauf, dass sich Genossenschaften wieder stärker als politische Akteure verstehen und selbst formulieren, wie beispielsweise Förderprogramme aussehen müssten, die von ihnen auch in Anspruch genommen werden.

Link zum Text

Ein Grund zum Feiern. Und zum Ärmelaufkrempeln!

Erklärung der Genossenschafter*innen zum Internationalen Genossenschaftstag

Am 2. Juli findet der „Internationale Genossenschaftstag“ statt, der 1923 durch die International Cooperative Alliance ins Leben gerufen wurde und seit 1992 mit der Resolution 47/90 auch offizieller UN-Feiertag ist. Der Tag soll das Bewusstsein für Genossenschaften und deren Ideale einer solidarischen Ökonomie feiern und fördern.

Genossenschaften waren auch in Deutschland ein wichtiger Impulsgeber für eine soziale, demokratisch organisierte Wirtschaft. Gerade die Wohnungsgenossenschaften haben in diesen 100 Jahren häufig bewiesen, dass sie in der Lage sind, auf schwierige, veränderte Rahmenbedingungen mit neuen Ideen zu antworten. Einige der schönsten Wohnanlagen der 1920er Jahre wären ohne die Genossenschaftsbewegung nicht denkbar. Angesichts der aktuellen Krisen ist von dieser Kreativität aber wenig zu spüren. (mehr …)

Genossenschaftswohnungen sind keine Ware! Genossenschafter*innen diskutieren Mietenkonzeption

Mieten – eigentlich korrekt Nutzungsentgelte –  sind auch in Genossenschaften ein Thema. Das wurde nicht zuletzt deutlich, als auch in Genossenschaften nach dem Mietendeckelgesetz Nutzungsentgelte gesenkt werden mussten.  Wie kann das sein, wo doch Genossenschaften gemeinhin mit niedrigen Mieten in Verbindung gebracht werden? Mehr noch, inzwischen fordern viele Genossenschaften – abgesehen von einigen rühmlichen Ausnahmen – von den Wohngenoss*innen die eingesparten Mietanteile zurück. Nicht gerade sehr genossenschaftlich. (mehr …)