Stellungnahme zur Verfassungsklage von vier Berliner Wohnungsgenossenschaften gegen den Mietendeckel

Vier Berliner Wohnungsbaugenossenschaften haben beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen den Mietendeckel eingereicht, wie der Spiegel am 1. Februar berichtete. [LINK zu Spiegeltext]. Es sind die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG, die Charlottenburger Baugenossenschaft eG, die Erste Wohnungsgenossenschaft Berlin-Pankow eG und die Wohnungsgenossenschaft Marzahner Tor eG.
Die Initiative “Die Genossenschafter*innen” lehnt diesen Schritt ab. Mit der Klage handeln die vier Genossenschaften gegen die Interessen ihrer Mitglieder und fügen der Genossenschaftsbewegung Schaden zu. Auch die Argumente sind aus unserer Sicht abenteuerlich, sie erschweren eine nötige gemeinwirtschaftliche Wende auf dem Wohnungsmarkt.

Vier Punkte sind besonders problematisch.

Erstens:
Wir stellen fest, dass Herr Enzesberger nicht für “die Berliner Genossenschaften” spricht. Er ist Sprecher eines Marketing- und Lobbyverbands ( LINK zu Wohnungsbaugenossenschaften), der seit geraumer Zeit gegen das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen (“Mietendeckel”) polemisiert. Diesem Verband gehören etwa ein Drittel der Berliner Genossenschaften an. Mit seiner radikalen Position spaltet diese Lobbygruppe die Berliner Genossenschaften.

Zweitens:
Die klagenden Genossenschaften führen an, dass es sich um einen verfassungswidrigen Eingriff in die Grundrechte handele. Das ist schon sehr zweifelhaft. Doch die Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit gehen noch weiter verloren, wenn in der Begründung hauptsächlich auf die finanziellen Folgen abgehoben wird: Der Mietendeckel verhindere die Sicherstellung eines nachhaltigen und sozial ausgewogenen Wohnungsangebots. Man sei gezwungen, Neubau und Modernisierungen zurückzufahren oder die Kosten auf die Mitglieder abzuwälzen.
Ein Blick in die Bilanzen zeigt: Gerade diese vier Genossenschaften haben in den letzten Jahren hohe Überschüsse erwirtschaftet. Die Rücklagen und auch die flüssigen Mittel sind hoch. Nirgendwo ist in den Risikoberichten davon die Rede, dass der Mietendeckel die Genossenschaften gefährden würde.
(Wir haben auf die gute Finanzlage einzelner Genossenschaften schon an anderer Stelle hingewiesen:

Nachgerechnet: 1892 und ihre Klagen über die Wirkungen des Mietendeckels

Drittens:
Mit ihrer Drohung, Sanierungen oder Modernisierungen auszusetzen, verängstigen die Genossenschaften gezielt ältere, bewegungseingeschränkte Genossenschaftsbewohner:innen. Die eigenen Mitglieder in ‚Geiselhaft‘ zu nehmen und zu manipulieren ist unredlich und stört gezielt den genossenschaftlichen Frieden.

Viertens:
Die klagenden Genossenschaften wenden sich mit diesem Vorgehen von den Prinzipien der Genossenschaftsbewegung ab: Sie sind weder bereit Solidarität nach innen zu befördern, indem sie Alt- und Neumitglieder gegeneinander ausspielen, noch wollen sie sich an der Lösung der stadtweiten wohnungspolitischen Notlage beteiligen und das Gesetz respektieren.

Eine kleine Gruppe Berliner Genossenschaften schließt sich damit einer neoliberalen Wohnungspolitik an, die einige Lobbygruppen schon länger propagieren. Sie unterscheiden sich immer weniger von der profitorientierten Immobilienwirtschaft, die diese Stadt unter Druck setzt. Dass sie sich jetzt vor den Karren von Verbänden und kapitalgetriebenen Unternehmen spannen lassen und für sie nach Karlsruhe gehen, stellt eine Zuspitzung des Konflikts dar, der sich in Berlin schon eine Weile abzeichnet: Einige Vorstände von Genossenschaften lassen die Prinzipien der Genossenschaftsbewegung hinter sich.

Wir lehnen es ab, dass die vier Genossenschaften den Eindruck erwecken, die Mehrheit der Berliner Genossenschaften würde sich zum profitorientieren Teil der Immobilienwirtschaft zählen. Die vier Genossenschaften sprechen alleine für sich. Es handelt sich um Einzelmeinungen der Vorstände. Wir bezweifeln, dass die Klage von der Mehrheit ihrer Mitglieder und der in anderen Berliner Wohnungsgenossenschaften unterstützt wird.

Wir fordern die Vorstände der anderen Berliner Genossenschaften auf, sich von dieser Klage zu distanzieren und stattdessen einen konstruktiven Weg für die Berliner Wohnungspolitik zu suchen.

Wir setzen uns für eine Demokratisierung von Genossenschaften ein. Starke Genossenschaften zeigen sich gerade in der aktuellen wohnungspolitischen Krisensituation solidarisch und werden nicht versuchen, Genossenschaftsmitglieder gegen andere Gruppen dieser Stadt auszuspielen.

Auch die Genossenschaft von unten hat die Klage der vier Unternehmen in einer umfangreichen Stellungnahme kritisiert. Die Stellungnahme finden sie hier: Gvu_Stellungn Mietendeckel End

Im aktuellen Mietermagazin 03/21 greift der Mieterverein die Kritik von Genossenschaftsmitgliedern an der Verfassungsklage auf: “Scharfer Widerspruch für klagende Genossenschaften” (Link)

 

8 Gedanken zu “Stellungnahme zur Verfassungsklage von vier Berliner Wohnungsgenossenschaften gegen den Mietendeckel

  1. Die Stellungnahme ist wichtig, weil es bisher keine Möglichkeit gibt, dass Genossenschafter*innen in ihren Mitglieder*innenzeitungen anderslautende Meinungen als ihre Vorstände veröffentlichen dürfen. Dann würde zum Beispiel mal geschrieben werden, dass anders als in dem Spiegelbericht geäußert wurde, die Renovierungskosten schon seit geraumer Zeit auf die Mieter:innen abgewälzt wurden und wer damit nicht einverstanden war, bekam postwendend eine saftige Mieterhöhung ins Haus. Insbesondere die beiden Charlottenburger Genossenschaften wenden derartige Praktiken an. Aber so etwas möchten die Vorstände natürlich nicht lesen, denn dann regte sich vielleicht doch mal ernsthafter Widerstand gegen ihre Alleinherrschaft. Die von den Vorständen erstellte Mitglieder:innenzeitung der 1892 eG wird an über 8.000 Haushalte versendet und irgendwann glaubt man dann vielleicht, was einem da so einseitig präsentiert wird, zumal politische Bildung leider nach wie vor nicht ausreichend an den Schulen gelehrt wird. So solidarisiert man sich lieber mit den Vorständen, denn die werden schon wissen, was gut ist für ihre Mitglieder:innen ist und bekämpft stattdessen engagierte Genossenschafter:innen, die sich zur Wehr setzen. Da diese Website leider auch nur die lesen, die eh schon Bescheid wissen, braucht es meiner Meinung nach, wenn wieder möglich verstärkten öffentlichen Protest und endlich Pressefreiheit in den Mitglieder:innenzeitungen.

    1. Ich finde es wirklich krass, was ich hier lese, stimmt es, dass Mitglieder keine gegenteilige Meinungen als ihre Vorstände veröffentlichen dürfen? Was ist los in den Genossenschaften? Ich bin wirklich schockiert..? Stimmt das?

      1. Na ja, es gibt schon auch Artikel von Genossenschafter*innen, die die Redaktion der Vorstände gerne in Ihren Mitglieder*innenzeitungen zulässt, z.B. Lobhudelei über Trödelmärkte in den Siedlungen, Berichte von rührigen, sehr, sehr dankbaren Genossen*innen und besonders engagierten Gartengruppen. Aber über die große Politik, da lassen sich dann die Vorstände lieber alleine aus und leider meist Contra Mietendeckel, Gegendarstellung hierzu unerwünscht.

          1. Sorry, ihr Schreiben klingt etwas kryptisch. Können Sie nicht konkreter werden? Heißt das, Sie finden es richtig, dass sich nur die Vorstände zur aktuellen Berliner Wohnungspolitik in den Mitglieder:innenzeitungen äußern dürfen? Finden Sie das demokratisch und vereinbar mit unserem Grundgesetz?

  2. Die Abwälzung der Renovierung einer WBS-Wohnung (vor meinem Einzug) hätte mich mindestens 1.700,– Euro gekostet, obwohl die Charlottenburger Baugenossenschaft wusste, dass ich von EU-Rente und ergänzender Grundsicherung lebe. Aus Frust über meine Gegenwehr wurde mir sogar angedroht, mich als Mitglied wieder zu kündigen, weil ich die CBG durch meine Inanspruchnahme von Mieterberatungsstellen angeblich unter Druck setzen würde. Der Pferdefuß: wer als Mitglied gekündigt wird, verliert auch die Genossenschafts-Wohnung.

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